Wanderndes Gold

Aus dem Print-Magazin

Wanderndes Gold

Alpakas und Lamas sind in Südamerika nicht wegzudenken. Während die faszinierenden Tiere dort frei durch die Landschaften ziehen, schießen in Deutschland Angebote für Wanderungen mit ihnen aus dem Boden. Für ihre Haltung gibt es hierzulande jedoch keine ausreichenden gesetzlichen Vorgaben. Auch bei den trendigen Freizeitaktivitäten werden ihre Bedürfnisse leider oft missachtet.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Wanderndes Gold“ – so werden Vikunjas in Peru aufgrund ihrer wertvollen Wolle genannt. Die wunderschönen Tiere sind die Wildform der domestizierten Alpakas. Die Haare ihres Fells gehören zu den feinsten, die die Tierwelt zu bieten hat, und ihre Wolle ist die teuerste der Welt. Nicht verwunderlich, dass diese Tatsache in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass die Tiere stark gejagt wurden. Von schätzungsweise1,5 Millionen Tieren, die es zur Zeit der Inkas in Südamerika gab, waren 1968 nur noch etwa 6.000 übrig. Heute gibt es dank zahlreicher Schutzmaßnahmen glücklicherweise wieder circa 350.000 Tiere, von denen ein Teil in weitläufigen Schutzgebieten von Ranger*innen bewacht wird. Denn bis heute kommt es vor, dass Tiere ihrer Wolle wegen getötet werden. Legal ist das nicht mehr möglich, denn der Handel mit der begehrten Tierfaser ist reglementiert und bedarf einer behördlichen Genehmigung. Alle zwei Jahre werden die frei lebenden Vikunjas kontrolliert zusammengetrieben und, begleitet von großen Festen, geschoren. Für viele Landwirtinnen und Landwirte ist das vor allem in den ärmeren Gegenden Südamerikas oft die einzige Einkommensmöglichkeit.

In den Anden zu Hause

Die hellbraun bis weiß gefärbten Vikunjas leben vor allem in den Hochebenen der Anden und ernähren sich dort von Gräsern. In Familienverbänden von bis zu 20 Tieren, die jeweilsaus einem Hengst und mehreren Stuten bestehen, streifen sie durch die charakteristische Landschaft, legen dabei aber keine allzu großen Strecken zurück. Vikunjas gelten als standorttreu. Die weiblichen Tiere bekommen ein Junges, um das sie sich bis zu anderthalb Jahre lang liebevoll kümmern. Die männlichen Jungtiere schließen sich später zu Junggesellengruppen zusammen und gründen irgendwann ihren eigenen Familienverband. Die sozialen Vikunjas mit den großen dunklen Knopfaugen erreichen eine Schulterhöhe von circa einem Meter und bringen bis zu 50 Kilogramm auf die Waage. Sie sind perfekt an ihren kargen Lebensraum angepasst und durchstehen sowohl heiße Temperaturen im Sommer als auch sehr kalte Tage und Nächte im Winter. Gemeinsam mit den Guanakos, der wilden Form der domestizierten Lamas, gehören Vikunjas zu den sogenannten Neuweltkameliden. Guanakos unterscheiden sich unter anderem dadurch von den Vikunjas, dass sie größer sind. Die stattlicheren Tiere erreichen eine Schulterhöhe von 1,20 Metern und werden bis zu 120 Kilogramm schwer. In Südamerika gibt es derzeit geschätzt 1,5 Millionen frei lebende Guanakos, über 80 Prozent davon leben in Argentinien. Im Gegensatz zu den Vikunjas legen die Guanako-Herden, die ebenfalls aus einem Hengst und mehreren Stuten bestehen, größere Strecken zurück. Sie sind grundsätzlich in den offenen Gras- und Steppenlandschaften der Gebirge zu Hause, ziehen aber auch durch Wälder oder an Küsten vorbei. Ihre Wolle ist nicht so begehrt und wertvoll wie die der Vikunjas, die Tiere werden aber ebenfalls regelmäßig zusammengetrieben und geschoren. Bekannt sind sie, vor allem hierzulande, für etwas anderes:

Lamas spucken – und das bis zu drei Meter weit. Das tun Alpakas zwar auch, aber nicht so ausgeprägt.

Mit diesem Verhalten klären Lamas in der Natur ihre Stellung in der Herde oder halten sich zu aufdringliche Artgenossen vom Leib. Die Spucke ist aber nicht gefährlich, sie riecht nur etwas unangenehm, weil sie einen Teil des Mageninhaltes enthält. Menschen brauchen sich in der Regel keine Sorgen zu machen, angespuckt zu werden – es sei denn, die Tiere sind fehlgeprägt.

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Fehlprägungen auf Menschen sind fatal

Wenn Alpakas und Lamas in menschlicher Obhut zur Welt kommen und in engem Kontakt zu Menschen groß werden, kommt es leider häufig zu Fehlprägungen. Das betrifft vor allem Tiere, die von Hand aufgezogen, mit der Flasche gefüttert und viel gestreichelt werden. „Fehlprägungen bedeuten, die Tiere sehen Menschen als Mitglieder ihrer Art an und behandeln diese auch wie Herdenmitglieder“, erklärt Kathrin Zvonek, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. „Leider werden gerade diese fehlgeprägten Tiere gerne gekauft, weil sie als Jungtiere äußerst zutraulich sind und Kontakt suchen. Sobald die Tiere erwachsen sind, kann das aber sehr gefährlich werden.“ Denn vor allem Hengste greifen Menschen dann oft an, weil sie sie als Konkurrenz wahrnehmen und aus der Herde drängen möchten. „So kommt es zu gefährlichen körperlichen Attacken, indem die Tiere die Menschen anrempeln, anspringen, beißen und teilweise auch versuchen, sie zu decken“, so die Expertin. Auch fehlgeprägte Stuten verhalten sich Menschen gegenüber dominant, rempeln sie an und spucken, auch wenn das Ausmaß nicht ganz so schlimm wie bei den Hengsten ist. Fehlgeprägte Hengste sind oft kaum noch handelbar, was nicht nur den Alltag mit den Tieren, sondern auch eine medizinische Versorgung kaum noch möglich macht – mit einer fatalen Konsequenz: „Die Fehlprägung bleibt ein Leben lang bestehen und kann nicht mehr korrigiert werden. Das bedeutet, in schweren Fällen bleibt nichts anderes übrig, als die Tiere einzuschläfern.“ Die Eigenschaft, dass die Hengste keine männlichen Artgenossen in ihrer Herde dulden, wenn auch Stuten darunter sind, führt über die Fehlprägungen hinaus zu weiteren Problemen. Denn sie akzeptieren in der Regel auch keine Wallache, also kastrierte Tiere, in der gemischten Gruppe, was bedeutet, dass sie teilweise einzeln gehalten werden. „Die Einzelhaltung ist aber nicht tiergerecht, weil es nun mal Herdentiere sind“, sagt Zvonek.

Tiergerechte Haltung ist das A und O

Die private Haltung von Alpakas und Lamas boomt in Deutschland seit vielen Jahren. Eine Umfrage der Justus-Liebig-Universität Gießen unter 550 Betrieben ergab, dass sie 7.700 Tiere halten, davon circa 80 Prozent Alpakas und 20 Prozent Lamas. „Wir gehen davon aus, dass es heute in ganz Deutschland circa 15.000 Neuweltkameliden gibt, gesetzliche Vorgaben für ihre Haltung, die den Tieren und ihren Ansprüchen gerecht werden, fehlen allerdings nach wie vor“, kritisiert Zvonek. Dabei ist es aus Tierschutzsicht von großer Bedeutung, die Tiere tiergerecht unterzubringen.

„Eine reine Stallhaltung sollte genauso tabu sein wie die Haltung einzelner Tiere.“

Gibt es mehrere Hengste, sollten diese in reinen Hengstgruppen leben – anders als in gemischten Herden mit Stuten ist das oft möglich, wenn die Charaktere der Tiere es zulassen. Darüber hinaus sollten den Tieren genügend Fressplätze mit ausreichend Heu, Stroh und natürlich auch Wasser zur Verfügung stehen. Außerdem lieben Neuweltkameliden es, im Sand zu baden, und sich im Sommer in Bachläufen oder flachen Teichen abzukühlen. „Die Haltung der Tiere sollte an die natürlichen Lebensbedingungen in Südamerika so nah herankommen wie möglich“, sagt Zvonek. „In menschlicher Obhut kommen natürlich regelmäßige Kontrollen durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt sowie Nagelpflege und eine Schur je nach Fell hinzu.“ Es ist wichtig, dass die Tierhalter*innen alle Bedürfnisse der Tiere kennen und geeignete Sachkundelehrgänge besuchen. Das nötige Wissen ist auch für die Zucht unabdingbar. „Seriöse Zucht bedeutet immer auch die Selektion von Tieren, um besonders erwünschte Charaktereigenschaften oder äußerliche Merkmale zu verstärken. Ganz wichtig ist dabei, Tiere, die nicht gesund sind oder andere Auffälligkeiten aufweisen, aus der Zucht zu nehmen“, so Zvonek. Doch die Zucht von Neuweltkameliden läuft nicht immer im Sinne der Tiere. Denn neben seriösen Züchter*innen gibt es auch sogenannte Vermehrer*innen, denen es einfach nur darum geht, möglichst schnell Gewinn zu machen. Bei Alpakas gibt es zudem bereits den Trend, die Nasen kürzer zu züchten, damit die Tiere noch mehr dem Kindchenschema entsprechen und noch süßer wirken. „Aus Tierschutzsicht lehnen wir ein solches Vorgehen vehement ab. Solche Zuchtziele gehen immer auf Kosten der Gesundheit der Tiere.“

Wanderungen mit Alpakas und Lamas liegen im Trend. Doch der enge Kontakt zu Menschen stresst die Tiere.

Wanderungen sind für Alpakas mit Stress verbunden

Etwa 60 Prozent der Befragten der Justus-Liebig-Universität Gießen gaben an, ihre Tiere für das Angebot von Wanderungen zu halten, 25 Prozent setzen sie für therapeutische Zwecke ein. Wanderungen mit Alpakas und Lamas liegen seit Jahren im Trend. Zahlreiche Menschen sehen darin eine aufregende Freizeitbeschäftigung. Mit den exotischen Tieren spazieren zu gehen, sie zu streicheln, zu kuscheln und zu umarmen ist für sie ein wahres Erlebnis. Das Problem: Die Tiere mögen grundsätzlich keinen engen Körperkontakt. „Die meisten erwachsenen Tiere erlauben auch untereinander zum Beispiel keine gegenseitige Fellpflege, wie wir es unter anderem von Pferden kennen. Engen Körperkontakt pflegen nur die Jungtiere zu ihren Müttern“, erklärt Zvonek. Auf Alpakas trifft das nochmal mehr zu als auf Lamas. „Lamas wurden schon früh vom Menschen als Lastentiere eingesetzt und sind die Nähe des Menschen daher schon seit Generationen gewohnt. Alpakas sind hingegen noch deutlich scheuer – der enge Kontakt und die Wanderungen stressen sie.“

Die Herdentiere leiden auch, wenn sie von ihren Artgenossen getrennt werden. Das gilt sowohl für die Tiere, die alleine spazieren gehen müssen, als auch die, die im Stall oder auf der Weide alleine zurückbleiben.

„Es sollten im besten Fall immer mindestens drei Tiere zusammenbleiben. Man braucht also schon einige Tiere, um Wanderungen überhaupt anbieten zu können“, so Zvonek. Aus Tierschutzsicht ist es überaus wichtig, dass die Veranstalter*innen die Gäst*innen einweisen und ihre Tiere stets im Blick behalten, um Stressanzeichen jederzeit erkennen und einschreiten zu können, um die Tiere zu schützen. Das gilt auch für die Alpakas und Lamas, die für tiergestützte Therapien eingesetzt werden. „Bei Besuchen in Altenheimen oder Kindergärten, für die die Tiere unter Umständen transportiert werden müssen, werden Lamas und Alpakas mit zahlreichen ungewohnten Situationen konfrontiert. Treppen, Aufzüge, Kinderlärm – all das führt zu großem Stress“, sagt Zvonek. „Außerdem ist es nahezu unmöglich sicherzustellen, dass die Tiere nicht gestreichelt werden.“ Aus all diesen Gründen steht der Deutsche Tierschutzbund menschennahen Aktivitäten mit Alpakas und Lamas grundsätzlich kritisch gegenüber.

Lamas und Alpakas mögen grundsätzlich keinen engen Körperkontakt, in der Natur pflegen nur Mütter und Jungtiere eine solche körperliche Nähe.

Das Wohl der Tiere muss oberste Priorität haben

Neben den Wanderungen und Therapieangeboten gibt es hierzulande auch kuriose Veranstaltungen mit Lamas und Alpakas. So ist es möglich, die Tiere zu Videokonferenzen zuzuschalten oder Alpaka-Yogakurse zu buchen. „Wenn die Tiere jederzeit die Möglichkeit haben, sich zurück zu ziehen, wird sicher kein Tier darunter leiden“, so Zvonek. Grundsätzlich ist es einfach wichtig, dass das Wohl der Tiere stets an erster Stelle steht. Es darf nicht sein, dass Tiere für die Unterhaltung und das Vergnügen von Menschen leiden oder wie die fehlgeprägten Hengste sogar sterben müssen. „Aus Tierschutzsicht wäre es auf jeden Fall besser, Alpakas und Lamas auf der Weide zu beobachten, statt engen Kontakt mit ihnen zu suchen. So können alle Interessierten die Tiere kennenlernen, ohne sie zu stark zu belasten.“